Vom Führungszeugnis über den Kirchenaustritt bis zur Vermessung von Grundstücken – in Zeiten der Digitalisierung scheinen viele Online-Angebote für behördliche Anliegen nahezu normal. Doch nicht hinter jedem Online-Portal-Antrag steht die vermutete Behörde. Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein (VZSH) warnt Verbraucherinnen und Verbraucher daher vor ungewollten Mehrkosten. Eine aktuelle Masche nimmt einkommensschwache Verbraucher gezielt ins Visier.
Aktuell erreichen die VZSH vermehrt Hinweise von Verbrauchern, die gezielt unaufgeforderte Telefonanrufe erhielten. Was sie eint: Sie haben wenig Geld zur Verfügung. Gesprächspartner ist die sogenannte „Agentur für Fördergelder“ hinter der die soonexx GmbH steht. Der Agenturname weckt bei vielen Verbrauchern zunächst Vertrauen, da er nach einer offiziellen staatlichen Einrichtung klingt. Sie bietet ihre Dienste an, um angeblich die Beantragung von Wohngeld zu erleichtern. Dabei werden persönliche Daten abgefragt und ein Vertrag abgeschlossen, der monatliche Kosten von 49 Euro verursacht.
„Nach eigener Auffassung stellt die telefonische Beratung der Agentur für Fördergelder für die Betroffenen im Ergebnis keine werthaltige Leistung dar“, berichtet Katrin Reinhardt, Rechtsexpertin der VZSH, aus ihren Beratungsgesprächen mit Verbrauchern. So zählt zu den angebotenen Leistungen etwa das Ausfüllen von Wohngeldanträgen. Diese werden jedoch ohne Nachweise und unvollständig an die Verbraucher verschickt. In vielen Fällen ist der tatsächliche Wohngeldanspruch außerdem viel niedriger als es während des Telefonats in Aussicht gestellt wird, und steht in keinem Verhältnis zu den anfallenden Kosten.
Eine Analyse des Vertrags der Agentur zeigt, dass die Betroffenen in eine langfristige Vertragsbindung geraten, die sich automatisch verlängert und nur schwer kündbar ist. „Die fortlaufende automatische Verlängerung um ein Jahr verstößt gegen geltendes Recht. Dass ausgerechnet vulnerable Verbraucher ins Visier genommen werden, verschärft die finanzielle Belastung für ohnehin einkommensschwache Haushalte“, so Reinhardt.
Betroffene können sich an die VZSH wenden, um sich beraten zu lassen, Unterstützung zu erhalten und den Vorfall zu melden. Gleichzeitig empfiehlt die VZSH, unangekündigte und unaufgeforderte Anrufe äußerst skeptisch anzunehmen oder im Zweifel aufzulegen. Sollten Verbraucher doch in ein Gespräch verwickelt werden, empfiehlt die Rechtsexpertin der VZSH:
- „Geben Sie keine sensiblen Daten am Telefon weiter.
- Stimmen Sie keinen Verträgen zu, ohne sie vorab gründlich zu prüfen.
- Melden Sie verdächtige Anrufe und Praktiken der Polizei, der Bundesnetzagentur oder der Verbraucherzentrale.“
Verwechslungsrisiko im Netz
Ähnliche Fälle ereignen sich bisweilen im digitalen Raum. Etwa wenn Verbraucher ein Führungszeugnis oder notwendige Dokumente beim Standesamt, für den Kirchenaustritt, das Kindergeld oder Ähnliches beantragen möchten. „Oft stehen die Hinweise auf die angebotene Leistung im Kleingedruckten. Wer nicht genau hinguckt, bekommt statt des gewünschten Dokuments lediglich Informationen zur Beantragung, eine Art ‚Wegweiser‘, wie die gewünschten Dokumente bei der Behörde zu beantragen sind“, so Reinhardt. Für diese gebündelten Informationen stellen die Anbieter anschließend Kosten in Rechnung, die bei der Behörde direkt nicht entstanden wären. Für den Verbraucher kommt es so zu verzichtbaren Mehrkosten.
Anzeichen für zweifelhafte Behördenseite
- URL überprüfen! Bereits ein Blick in die Adressleiste kann erste Hinweise geben. „.com-“, „.org-“ oder „.net“-Adressen sind untypisch für Webseiten von offiziellen deutschen Behörden.
- Hat die Seite ein Impressum? Im Impressum lassen sich die wichtigsten Informationen zum Betreiber der Seite finden. Steckt eine deutsche Behörde hinter der Internetseite, ist dies im Impressum angegeben. Auch Dienstleister sind verpflichtet, Firmenkontakte im Impressum anzugeben.
- Was steht in den AGB? Bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen verhält es sich wie mit dem Impressum. Fehlen sie, sollten Verbraucher skeptisch werden. AGB beinhalten in der Regel vorformulierte Vertragsbedingungen, die bei Vertragsschluss gelten.
VZSH fordert: Offizielle Behörden im Netz sichtbar machen
„Damit das Verwechslungsrisiko von Internetaufritten offizieller Behörden für Verbraucher möglichst gering ausfällt, benötigen die Webseiten eindeutige Erkennungsmerkmale“, so die Rechtsexpertin der VZSH. „Sicherstes Merkmal wäre eine eigene Top-Level-Domain, die nur für öffentliche Hoheitsträger freigegeben ist“, so Reinhardt weiter. Das gibt es bereits in den Vereinigten Staaten von Amerika. Dort dürfen nur die Links von Webseiten staatlicher Einrichtungen auf „.gov“ enden. Die Kurzform für „government“, zu Deutsch Regierung, gibt den entscheidenden Hinweis, dass es sich nur um eine öffentliche Behörde handeln kann. „Auch die Umsetzung staatlicher Digitalisierungsbestrebungen kann das Verwechslungsrisiko minimieren. Einheitliche Webauftritte staatlicher Institutionen mit einem ebenso einheitlichen wie handhabbaren digitalen Antragswesen würden das Geschäft mit Informations- und Vermittlungsdienstleistungen obsolet machen“, so Reinhardt.