Die Coronakrise hat viele Schleswig-Holsteiner hart getroffen. 10,7 Prozent der Haushalte im nördlichsten Bundesland sind überschuldet – mehr als im Bundesdurchschnitt. Durch Kurzarbeit und den Wegfall von Jobs im Tourismus, in der Gastronomie und der Veranstaltungsbranche sind Betroffene in eine prekäre Lage geraten. Immer mehr wenden sich hilfesuchend an die Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale im Kreis Segeberg. Die aktuelle Aktionswoche „der Mensch hinter den Schulden“ vom 7. bis 11. Juni 2021 macht bundesweit auf die Herausforderungen der Schuldnerberatung aufmerksam.
Seit dem Herbst 2020 erlebt die Schuldnerberatung eine Zunahme von Existenznöten infolge der Coronakrise. Allein im vergangenen Jahr hat die Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale im Kreis Segeberg 2.479 Beratungsgespräche geführt und 19.453 Schreiben an Gläubiger verschickt. Die Ratsuchenden sind häufig Menschen, die schon länger Zahlungsprobleme haben. Durch die Folgen der Pandemie verstetigen sich diese und führen schlimmstenfalls in die Überschuldung.
Antragsstau durch verzögerte Neuregelung der Verbraucherinsolvenz
Neben dem steigenden Beratungsbedarf stehen Schuldnerberater vor einer zusätzlichen Herausforderung: Das vergangene Jahr hat bei der Verbraucherinsolvenz eine entscheidende Neuerung gebracht, die sich auf die Beratung auswirkt. Anfang Juni 2020 hatte die Bundesregierung eine Verkürzung der Verfahrensdauer für die Restschuldbefreiung von sechs auf drei Jahre angekündigt. Darauf wurden viele Anträge auf Verbraucherinsolvenz verschoben. Die neue Regelung kam aber nicht wie angekündigt im Oktober, sondern trat erst mit Beginn des neuen Jahres in Kraft. „So konnten wir viele Anträge auf Restschuldbefreiung erst im Jahr 2021 bearbeiten und einreichen“, sagt Stefan Bock, Vorstand der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein (VZSH).
Mehr Mittel für wirksame Prävention
Der Ausbau der Schuldnerberatung ist aus Sicht der Verbraucherzentrale dringend geboten. Dazu gehört an erster Stelle eine bessere Finanzierung, damit alle Menschen Zugang zur Beratung erhalten. „Überschuldung ist in den meisten Fällen eine Folge von Schicksalsschlägen wie schweren Krankheiten, Tod des Partners oder Trennung. In der Coronazeit sind besonders viele Menschen in die Schuldenkrise geraten, ohne dass sie irgendetwas dagegen hätten tun können“, so Stefan Bock. Im Idealfall kommen die Betroffenen in die Beratung, bevor sie in die Überschuldung geraten. So lässt sich mit Prävention möglicherweise das Schlimmste verhindern. „Das gelingt leider nicht immer und erst recht nicht, wenn die Betroffenen mehrere Wochen auf einen Termin warten müssen“, sagt der VZSH-Vorstand. Vom Gesetzgeber fordert die Verbraucherzentrale deshalb, einen Rechtsanspruch für alle auf kostenfreie Schuldnerberatung einzuführen. Bisher sind nur Empfänger von Sozialleistungen nach SGB 2 und 12 dazu berechtigt.
Auskunfteien erschweren den wirtschaftlichen Neustart nach der Insolvenz
Auch die Reform des Insolvenzrechtes geht aus Sicht der Verbraucherzentrale noch nicht weit genug. „Wir halten es für falsch, dass Auskunfteien weiterhin drei Jahre lang negative Merkmale von Verbrauchern speichern dürfen, obwohl die Forderungen nicht mehr durchsetzbar sind. Vielen Menschen wird so der wirtschaftliche Neustart, der Abschluss von Verträgen oder die Wohnungssuche massiv erschwert“, so Bock. „Wer vor dem Gesetz eine weiße Weste hat, darf nicht von Unternehmen diskriminiert werden.“
Aktionswoche „Der Mensch hinter den Schulden“
Die Aktionswoche „Der Mensch hinter den Schulden“ wird von der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung und Verbände (AG SBV) veranstaltet. Darin haben sich die Verbraucherzentralen, die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege auf Bundesebene und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung zusammengeschlossen.